Liebe Newslettergemeinde,
der Wochenrückblick beginnt diesmal brandaktuell. Wir haben soeben eine tiefgehende Recherche zu den Geldflüssen um Querdenken-Gründer Michael Ballweg veröffentlicht. Gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale hat Daniel Laufer nachgeforscht, wer von den Spenden und Merchandise-Verkäufen der Protestbewegung profitiert.
Dabei führen alle Wege zu dem 46-jährigen IT-Unternehmer an der Speerspitze der Proteste. Es ergibt sich das Bild eines Mannes, der „das Publikum seiner Kundgebungen monetarisiert, an Fanartikeln verdient und Spenden über ein Privatkonto sammelt, ohne darüber Rechenschaft zu geben.“ Ballweg streitet die Vorwürfe ab.
Unsere Zahl des Tages ist die 1.157. So viele Artikel haben wir bisher dieses Jahr veröffentlicht. In eigener Sache blickt Markus Beckedahl auf das Jahr in Zahlen und Themen zurück. Wir haben mehr Leser:innen und Spender:innen als je zuvor (Danke!) und freuen uns, auch weiterhin unsere kritische Berichterstattung veröffentlichen zu können. Im Angesicht von immer mehr Überwachung, wichtiger denn je.
Und auch sonst war es eine Woche so voll von Ereignissen, dass es für eine ganze Serie an Newslettern gereicht hätte. Am Dienstag veröffentlichte die EU-Kommission mit dem Digitale-Dienste-Paket, von uns auch Plattformgrundgesetz genannt, ein ambitioniertes Gesetzespaket und am Mittwoch verabschiedete die Bundesregierung mehrere für uns Gesetze im Schnelltakt. Wir schauen gemeinsam zurück.
Zum ersten, zum zweiten, zum dritten – gekauft!
Vor dem Jahresende sollte es nochmal schnell gehen. Gleich drei netzpolitische Gesetzesentwürfe hat die Bundesregierung am Dienstag beschlossen: Das Novelle des Telekommunikationsgesetz, das reformierte BND-Gesetz und das IT-Sicherheitsgesetz 2.0. Unabhängige Expert:innen hatten teilweise kaum mehr als ein paar Tage Zeit, sich die hunderte Seiten langen Entwürfe anzuschauen und Kritik zu äußern. Und das bei Gesetzen, die Monate oder Jahre in der Mache waren. So sieht gute Demokratie nicht aus, schreibt jetzt ein breites Bündnis an netzpolitischen Vereinen und Verbänden in einem offenen Brief und fordert „Angemessene Fristen statt Scheinbeteiligung“.
Da ist zum Beispiel eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes beschlossen worden. Die fasst viele heiße Eisen an, von Routerfreiheit bis zur heftig umstrittenen und bisher grundrechtswidrigen Vorratsdatenspeicherung. Expert:innen können nur den Kopf schütteln: „Es ist frech, das einfach wieder in den neuen Entwurf aufzunehmen“. Die einzigen, die sich hier Gehör verschaffen konnten, scheinen die Wirtschaftsverbände gewesen zu sein.
Ein weiteres Gesetz, das jetzt in den Bundestag wandert, ist eines zur Änderung des BND-Gesetzes, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Vorgänger für in Teilen verfassungswidrig erklärt hatte. Weniger Überwachung gibt es natürlich nicht. Dafür mehr Geld: Zu Zeiten der Snowden-Enthüllungen 2013 beschränkte sich das Budget des BND noch auf 531 Millionen Euro, nächstes Jahr soll er erstmals über eine Milliarde Euro an Steuergeldern bekommen.
Drittes Gesetz im Bunde ist das IT-Sicherheitsgesetz 2.0, an dem fast zwei Jahre und in verschiedenen Referentenentwürfen herumgedoktert wurde. Mit mäßigem Erfolg, geht es nach Expert:innen und Aktivist:innen. Dass das Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik Überwachungsbefugnisse bekommt, ist nur einer der vielen Kritikpunkte. Auch von Seiten der Wirtschaft wird geklagt, denn im Gesetz werden intransparente, ungleiche Maßstäbe für deutsche Firmen in der Kommunikationstechnologie gesetzt.
Nicht verabschiedet, aber ebenfalls kritisiert, wurde der Entwurf des Registermodernisierungsgesetzes. Zentraler Bestandteil davon ist die Einführung der Steuer-ID als behördenübergreifende Personenkennziffer. Jurist:innen und Datenschützer:innen schätzten diesen Vorschlag bereits wiederholt als verfassungswidrig ein. Zu diesen Stimmen gesellten sich jetzt auch eine Handvoll Expert:innen in einer Anhörung im Bundestag dazu.
Schöne neue Digitalwelt
Als „Plattformgrundgesetz“ wurde das Gesetzespaket, das die EU-Kommission am Dienstag vorgelegt hat, getauft. Die umfassenden Vorschläge, bestehend aus einem Digitale-Dienste-Gesetz und einem Digitale-Märkte-Gesetz, sollen eine Neuordnung der digitalen Märkte regeln und die Macht von Google, Facebook und Co. massiv beschneiden. Alexander Fanta und Tomas Rudl haben die beiden Gesetzestexte durchgearbeitet und für uns eingeordnet.
Ein Grundpfeiler des Digitale-Dienste-Gesetzes ist die Forderung nach mehr Transparenz. So sollen große Technologiefirmen ihre algorithmischen Entscheidungssysteme fortan für bestimmte zugelassene Wissenschaftler:innen und Regulierungsbehörden offenlegen. Leider lässt der halbherzige Vorschlag weite Schlupflöcher für die Technologie-Firmen.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: „Das wird ein Brutaler Kampf über die Beschränkung der Marktmacht der Internetgiganten“ und „mit dem Digital Services Act bekommt Europa ein echtes digitales Grundgesetz“ hieß es von Abgeordneten des Europaparlaments. Weniger Lob gab es aus der digitalen Zivilgesellschaft, weil die Entwürfe nicht weit genug gehen.
Verbrechen und Strafe
Unsere zweite große investigative Recherche diese Woche beschäftigt sich mit ordnungswidrigen Abfragen in Polizeidatenbanken. Ingo Dachwitz erzählt die Geschichte von Anja H., die nach einem übergriffigen Vorfall hilfesuchend den Notruf wählt – mit unerwarteten Folgen: „Durch den Anruf bei der Polizei wird nicht der Täter in den Fokus eines Ermittlers geraten, sondern sie selbst.“ Nur wenig später ruft ein Polizist grundlos ihre Kontakdaten ab und Anja H. wird zum Ziel rechter Belästigungen.
Das Bundesverfassungsgericht hat letzten Freitag festgestellt, dass das Antiterrordateigesetz verfassungswidrig ist. Das Gesetz erlaubt Polizeien und Geheimdiensten mit Datamining nach neuen Erkenntnissen zu stochern. Politiker:innen der Opposition befanden das Gesetz damit für endgültig nutzlos und erklärten es zum „toten Pferd.“
Nach einer Klagewelle gegen Facebook in der vergangenen Woche, geht es in den USA diesmal Google an den Kragen. In einem Wettbewerbsverfahren wird dem Konzern vorgeworfen, den Markt für Werbeanzeigen im Netz mit unfairen Taktiken zu dominieren. Auch Facebook soll involviert gewesen sein.
Mit der Frage, ob Googles Anzeigenmärkte strenger reguliert werden sollten, beschäftigt sich auch die US-amerikanische Forscherin Dina Srinivasan. Im Interview mit Alexander Fanta erklärt sie, was man für die Regulation von Google von der Regulation der Finanzmärkte lernen könnte. So gigantische Interessenskonflikte, wie sie Google erlaubt werden, gibt es dort nämlich nicht. Der Artikel ist auch auf Englisch erschienen.
Still und heimlich hat die irische Datenschutzbehörde ein zweijähriges Verfahren gegen Twitter beendet. Schlappe 450.000 Euro muss der Konzern für die späte Öffentlichmachung eines Datenlecks im Januar 2019 bezahlen. Die ohnehin schon gescholtene Behörde verärgert mit der geringen Strafe und stellt in Aussicht, wie die noch ausstehenden Verfahren ablaufen könnten.
Zwischen Privatsphäre und Verschlüsselung
Die Internetseiten von 289 Bundestagsabgeordneten wiesen erhebliche datenschutzrechtliche Mängel auf. Sie hatten illegale Datenschutzerklärungen auf ihren Websites und ermöglichten US-Plattformen, die Daten politisch interessierter Bürger:innen abzurufen und zu archivieren. Viele der Datenschutzerklärungen stützten sich auf die vor einem halben Jahr gekippte Privacy-Shield-Regelung und nur die wenigsten Abgeordneten verwiesen drauf. Dies ist rechtswidrig, wie nach dem EuGH-Urteil feststeht. Nach der Konfrontation mit den Rechercheergebnissen von netzpolitik.org kündigten bereits zahlreiche Politiker:innen an, ihre Datenschutzerklärungen rechtskonform zu ändern. Gern geschehen.
Der Bahnhof Berlin-Südkreuz wird aufgerüstet mit intelligenter Videoüberwachung. Die Anzahl an Videokameras an Bahnhöfen soll auf 11.000 in den kommenden Jahren erhöht werden, gab die Deutsche Bahn am Sonntag in einer gemeinsamen Presseaussendung mit dem Bundesinnenministerium und dem Bundesverkehrsministerium bekannt. Innenminister Horst Seehofer erhofft sich hiervon mehr Sicherheit und der ehemalige Kanzleramtsminister und heutige Bahn-Vorstand Ronald Pofalla ergänzt, dass Sicherheit das „oberste Gebot“ seines Unternehmens sei. Die angekündigten Maßnahmen seien eine Reaktion auf zwei Tötungsdelikte an Bahnhöfen im Jahr 2019.
Anbieter verschlüsselter Kommunikation, wie WhatsApp und Signal, könnten zukünftig zu Hintertüren verpflichtet werden. Im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus sei dies notwendig, um effizientere Ermittlungen zu ermöglichen. Ein breites Bündnis aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft kritisiert, dass die geplanten Hintertüren Massenüberwachung und Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben könnten, das sei vor allem in autoritären Staaten ein massives Problem. Welche konkreten Vorschläge die Kommission beim Thema Verschlüsselung vorlegen wird, hängt noch in der Schwebe.
Markus Beckedahl fasst in seinem Tagesrückblick die finalen Trilog-Verhandlungen über die „Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte“ zusammen. Kleine und nichtkommerzielle Plattformen wurden aus der Verpflichtung genommen. Ziel der Verordnung ist, Regeln zu schaffen, wie diese Inhalte, wie etwa IS-Enthauptungsvideos oder Aufnahmen des Attentäters in Halle, schnell aus dem Netz und von Plattformen entfernt werden können. Die Einigung ist letztendlich ein blaues Auge für Grundrechte.
Und sonst so?
Letzten Samstag haben wir einen Artikel veröffentlicht, der sich mit den, was Digitalisierung betrifft, oft unterschätzten älteren Menschen beschäftigt. Während des „Lockdowns“ haben sich nämlich die verschiedensten Gruppierungen technologiebegeisterter Senior:innen zusammengefunden, die sich in regem Austausch miteinander vernetzen und voneinander lernen. Eine erfreuliche Entwicklung.
Das Vereinigte Königreich plant eine Kindersicherung fürs Internet. Online-Dienste, auf denen sich Nutzer:innen austauschen können, sollen künftig strengen Regeln folgen. Anbietern, die Verbreitungen von Darstellungen von Kindesmissbrauch oder terroristische Inhalte nicht ausreichend verhindern, drohen hohe Strafen.
Wegen einer falschen Tatsachenbehauptung eines Gastes wurde eine Folge von „Markus Lanz“ in der Mediathek um zwei Minuten gekürzt. Leonhard Dobusch schreibt in seiner Kolumne „Neues aus dem Fernsehrat“ über den Bedarf nach mehr Transparenz und den Umgang mit Fehlern beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Hier noch eine Ankündigung in eigener Sache: In unserer Kreativabteilung wird währenddessen noch hart gearbeitet und zusammengeschnitten denn am Montag, den 21.12., um 19 Uhr senden wir unseren Netzpolitischen Jahresrückblick – edition pandémique.
Wir blicken zurück auf ein aufregendes Jahr, auf unsere besten Recherchen und geben euch Einblicke in unseren Readktionsalltag während einer Pandemie. Neben den Top Themen des Jahres vorgestellt von unserem Chefredakteur Markus Beckedahl schalten unter anderem nach Brüssel zum netzpolitik.org EU-Korrespondenten Alexander Fanta und sprechen mit Chris Köver über ihre TikTok-Recherchen. Daniel Laufer berichtet über Verschwörungs-Schwurbeler und ihre dubiosen Geldeinnahmemethoden und zum krönenden Abschluss liest Constanze Kurz bei Kaminfeuer aus unseren lustigsten und skurrilsten Kommentaren. Dies und einiges mehr präsentiert euch unser Moderationstalent Ingo Dachwitz. Zu sehen bei uns auf dem Blog und unter https://www.youtube.com/user/netzpolitik.
Zur Verabschiedung noch eine Kuriosiät. Wie es aussieht, ist das Internet in manchen Teilen von Deutschland so langsam, dass es eine althergebrachte und schnellere Alternative zum Datentransfer gibt: Das Pferd.
Wir wünschen euch ein schönes Wochenende und frohe Feiertage.
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